»Seniorengerechtes Farbmilieu«

Ein Werkstattbericht

 

Die Situation

150 Bewohner werden von 150 Pflegenden in einem 40 Jahre alten Haus versorgt. Alle Instandhaltungs- und Renovierungsarbeiten in diesem Altenheim werden nach Bedarf ausgeführt, eine grundlegende Innenraumsanierung wird in den Wirtschaftsplänen praktisch nicht berücksichtigt … obwohl in den Erstattungen der Krankenkassen etwa 10 Prozent ausschließlich dem Gebäudeunterhalt dienen.

Dass der Träger mit dem »alten Haus« dennoch ordentlich Geld verdient, liegt vor allem am engagierten  Einrichtungsleiter und seinem Team. Dieses Engagement bedingt auch, stets nach Wegen zu suchen, wie man das Haus für Bewohner, Pflegende und Gäste noch attraktiver machen kann. Wir sind im Gespräch …

Eine Klärung, was möglicherweise getan werden müsste, brachte eine Post Occupancy Evalutation mit:

  • fotografischer Bestandsaufnahme
  • Raumeroberung mit und für das Leitungsteam
  • Auswertung der subjektiven Raumwirkung mittels Semantischem Differential
  • Bioresonanz-Farbtests mit sieben Personen der Hausleitung
  • teilnehmenden Beobachtungen (vor allem im zentralen Eingangs- und Aufenthaltsbereich)

Das (wenig überraschende) Ergebnis dieser Vorfeldarbeiten war:

  • die Pflegenden sind überfordert (negativer Stress)
  • die Bewohner sind unterfordert (sensory deprivation)
  • die Räume selbst sind Stress-auslösend

Da dem Einrichtungsleiter nach wie vor kein Budget für eine gründliche Sanierung zur Verfügung stand, nutzte er die Gunst der Stunde: drei junge Männer, die sich im Asylverfahren befanden, standen dem Haus von heute auf morgen zur Verfügung, allerdings nur für eine unbestimmte Zeit!

Aus diesem Grund sollten die Sanierungsarbeiten rasch beginnen, auch wenn dafür noch kein Konzept erarbeitet war! Das Vertrauen des Einrichtungsleiters ermöglichte eine ad-hoc-Planung. Mit Farbkollektionen »bewaffnet« haben wir uns in die Räume gesetzt, die Bewohner, die Pflegenden und die Gäste beobachtet und dabei ein Konzept entwickelt.

Grundlegend für die Entwicklung eines Farbmilieus waren zahlreiche wissenschaftlich-valide Studien, die sagen, welche Farben und welches Licht in den Lebensräumen für Menschen im Alter günstig sind. Diese Untersuchungen sagen auch, wie sich alte Menschen im Raum zuerechtfinden – und welche Orientierungshilfen sie dazu brauchen. Die Forschung gibt uns sogar Antworten auf die Frage, welche Bildmotive zur Ausstattung der Räume hilfreich sind.

Die Aufgabe bestand nun darin, innerhalb von 5 Tagen ein praxisgerechtes Konzept zu entwickeln, das auch von ungelernten freiwilligen Helfern zu realisieren  war.

Das Konzept

Das so entstandene Konzept besteht aus fünf Maßnahmen, die je nach Budget und vorhandenen Arbeitskräften in dieser Reihenfolge realisiert werden können:

1. Phase: neue (Wand-)Farben
2. Phase: eine funktionierende Wegeführung
3. Phase: neues vertikales statt horizontales Licht
4. Phase: die richtigen Bildmotive und Bildformate
5. Phase: Pflanzen, Pflanzen, Pflanzen …

1. Phase: Farben

  • Auswahl einer Fries- und einer Wandfarbe als Fond, die das Farbklima im ganzen Haus definieren
  • Auswahl von 10 ergänzenden Farbtönen, die mit Fries, Fondfarbe, Böden, Decken, Einbauschränken und Türen harmonieren – mit dem Ziel: variantenreiche Farbkombinationen, die die Architektur der Räume angemessen interpretieren

Das Wichtigste zu diesem Thema kann man übrigens in »Farbe im Kontext« Heft 4/2015 nachlesen.

Hintergrund: Auszüge aus Farbe im Kontext 4 | 2015

Altern ist individuell, altern ist ein natürlicher Vorgang und keine Krankheit. So wie der Mensch nach seiner Geburt auf Unterstützung angewiesen ist, so ist er es auch vielfach mit zunehmendem Alter. Besonders häufig stellen sich abnehmende Sehleistungen ein, die meist ab dem 40. Lebensjahr bemerkt werden. Um vergleichbare Sehleistungen zu erbringen, brauchen 50jährige etwa doppelt so viel Licht wie 20-jährige. Bei Menschen, die älter als 70 sind, kann sich der Lichtbedarf auf das Vierfache erhöhen. Ursache ist eine nachlassende Elastizität der Augenmuskeln, die die Pupille öffnen und schließen. Auch die Bewältigung schnell wechselnder Helligkeiten ist beim alten Menschen wegen dieser verlangsamten Anpassung oft deutlich eingeschränkt.

Ältere Menschen brauchen Räume, die auf ihre Wünsche und Bedürfnisse abgestimmt sind. Dazu ist eine psychologisch ausgerichtete Farbgestaltung besonders hilfreich. Der schnelle Weg von hellem Tageslicht im Freien zu einem unzureichend beleuchteten Innenraum kann sogar zum kurzfristigen Ausfall des Sehens führen. Daher brauchen vor allem die Eingangsbereiche der Häuser eine gute Ergänzungsbeleuchtung mit hohen Lichtstärken. Fensteröffnungen und Oberlichter müssen dagegen mit einem wirksamen Blendschutz versehen werden, damit das an das Beleuchtungsniveau der Innenräume angepasste Auge nicht überstrahlt wird. Bei alten Menschen stellen sich meist auch Linsentrübungen ein, die zu einer verstärkten Lichtstreuung im Auge führen, was die Blendung ebenfalls erhöht und die Sehschärfe reduziert. In Senioreneinrichtungen sollte man daher von vorneherein auf glänzenden Oberflächen verzichten.

Für gutes Sehen optimal sind gleichmäßig beleuchtete Wandflächen. Flächige Lichtverteilungen ohne sichtbare Lichtkegel und Schattenzonen an den Wänden lassen die Räume als Ganzes besonders hell erscheinen. Zudem heben solche vertikalen Beleuchtungen die Begrenzungsflächen der Architektur gut hervor, was für die Orientierung im Raum besonders vorteilhaft ist. Hohen Sehkomfort bringen auch indirekte Beleuchtungen, die vor allem die Deckenflächen anstrahlen. Das so abgegebene Licht lässt sich auf große Flächen verteilen, wodurch mögliche Blendungen und ungünstige Hell-Dunkel-Kontraste weitgehend vermieden werden. Mit zunehmendem Alter nimmt in der Regel auch die Sensitivität der lichtempfindlichen Farbrezeptoren im Auge ab. Gleichzeitig wird die bei der Geburt noch farblose Augenlinse im Lauf des Lebens immer gelblicher. Beides zusammen führte bislang zur Empfehlung, die Lichtfarbe für seniorengerechte Räume deutlich blauer und die Beleuchtungsstärke höher zu halten, um im Ergebnis ein ausgewogenes Farbensehen zu ermöglichen. Neuere Untersuchungen zeigen jedoch, dass die Farbwahrnehmung auch im Alter erstaunlich stabil bleibt. Da in den Sinneszellen des Auges nicht die absoluten Farbwerte des einfallenden Lichts ermittelt werden, sondern nur deren relative Anteile zueinander, bleibt im Wahrnehmungsprozess die richtige Farbbalance erhalten, selbst wenn die Sensitivität der Farbrezeptoren verringert ist. Helle und gut ausgeleuchtete Räume sind vor allem in den Übergangsbereichen von innen nach außen wichtig.

2. Phase: Wegeführung

… hier geht es um Verständnis und Lesbarkeit, also

  • Schriftschnitte

  • Schriftgrößen

  • Typographie

  • Figur-Grund-Kontraste

  • Lichtverhältnisse

  • Blendungsfreiheit etc.

Diese Phase fordert gutes handwerkliches Arbeiten und weniger eine »kreative« Gestaltung.

3. Phase: Licht

  • hier ergänzen wir zum vorhandenen Licht neue

  • Leuchten, die Mängel in der Helligkeit ausgleichen

  • leider geht da heute nur noch LED-Licht,

  • viel lieber wären mir Halogen-Leuchtmittel.

  • auf jeden Fall werden wir die Wände beleuchten,

  • und nicht die Bodenflächen (vertikale statt horizontale Beleuchtung).

4. Phase: Bilder

… hier einige Beispiele für Bildmotive, die nicht nur für Menschen im Alter ganz allgemein, sondern auch für demente Personen geeignet sind:

5. Phase: Pflanzen

Die Zimmerpflanzen müssen runde Blattformen haben. Das Grün der Blätter darf nicht zu dunkel sein. Damit Pflanzen frisch und gesund aussehen, brauchen sie zu bestimmten Zeiten auch künstliches Licht mit einem speziellen UV-Anteil … und natürlich die richtige Pflege.

Die Reaktionen

  • die Bewohner empfanden die Farben als »schön«

  • die Pflegenden mochten die Farben auch, aber manche Farben erschienen ihnen unpassend

  • jetzt, da man die Farbigkeit im Zusammenhang sehen und erleben kann, gibt es breite Zustimmung

  • jetzt wollen alle auch ihr Büro neu gestrichen haben, und die Besprechungsräume, und das Restaurant und …

Der entscheidende Punkt sind jedoch nicht die Farben, sondern die Wertschätzung! die durch die Farbgebung vermittelt wird.

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