Künstler, Farbarchitekt oder Milieugestalter
Wie Kompetenzen für Farbe in der Architektur entwickeln?
Ebenso facettenreich wie die Aufgaben der Farbe in der Architektur hat sich der Beruf des Farbgestalters entwickelt. Der Amerikaner Faber Birren war in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts der erste Gestalter, der nicht-visuelle, physiologische und psychologische Erkenntnisse über Farbwirkungen in seiner gestalterischen Praxis umgesetzt hat. Doch wo und wie kommt man zur Kompetenz eines Farbdesigners, der nach humanwissenschaftlichen Erkenntnissen arbeitet? Die Ausbildungswege zum professionellen Farbgestalter sind bis heute nicht aufeinander abgestimmt. Daher gibt es die unterschiedlichsten Wege, die einem den Zugang zu dieser Tätigkeit eröffnen: autodidaktisches Lernen, der Besuch von Seminaren und Weiterbildungen, ein Hochschulstudium als Designer, Architekt oder Künstler. So unterschiedlich wie die individuellen Zugänge zum Beruf sind auch die Vorstellungen, wie Farbe im Raum sein soll.
Der Künstler
Weit verbreitet ist der Typus des Künstler, der sich bei der Gestaltung in einen persönlichen Prozess der Auseinandersetzung einlässt. Der gebaute Raum (oder die Fassade) dient ihm als wesentliche Quelle der Inspiration, aber letztlich geht es ihm vor allem darum, das von ihm Geschaffene öffentlich zu machen. Er will seine Werke nicht interpretieren, er will nur, daß sie ihm und anderen gefallen. Für den Künstler ist vorrangig, dass er mit seinem Werk und mit sich selbst übereinstimmt. Das persönliche Empfinden ist für ihn maßgebend, ebenso eine optimale Präsentation des Ergebnisses. Die Flächen in Architektur und Raum werden häufig zum Ersatz für Leinwände, auch zum Passepartout, welche die künstlerische Arbeit rahmt.
Der Farbarchitekt
Der Farbarchitekt (ich nenne ihn so …) will im Konsens mit der Architektur gestalten. Er ist bestrebt Träume sichtbar und optimal lesbar zu machen. Er nutzt das Medium Farbe zum Setzen von Akzenten, um Räume größer oder kleiner erscheinen zu lassen, Unwichtiges von Wichtigen abzusetzen, bauliche Zusammenhänge zu verdeutlichen, gleiche oder ähnliche Elemente zu vereinheitlichen oder zu differenzieren. Dabei kann der erfahrene Farbarchitekt meist ein ganzes Portfolio an visuellen Farbwirkungen nutzen. Er weiß, dass in etwa gleiche oder ähnliche Farbtöne als zusammengehörig wahrgenommen werden, dass Farbtöne dann miteinander harmonieren, wenn diese in einem oder zwei der drei Eigenschaften (Grundton, Sättigung oder Helligkeit) ähnlich sind.
Der Milieugestalter
Typisch ist sein Bemühen, die Sichtweisen des Farbarchitekten zu erweitern und ergänzend dazu humanwissenschaftliche Erkenntnisse einzubeziehen. Der Milieugestalter nutzt Farbe nicht nur als ästhetisches, sondern auch als funktionales Medium. Seine Fragen sind beispielsweise: wie sollte ein Ambiente gestaltet sein, damit Kranke schneller genesen, wie muss eine Senioreneinrichtung aussehen, damit sie den Bedürfnissen alter Menschen gerecht wird, oder: wie können Schulräume zu lerngerechten Räumen werden?
Um sich auf die Bedürfnisse der Nutzer konzentrieren zu können, nimmt der Milieugestalter seine eigenen Wünsche oder Bedürfnisse zurück. Obwohl er mit künstlerischen Mitteln arbeitet, versteht er sich weniger als Künstler, sondern eher als Dienstleister, der sich bemüht, humanwissenschaftliche Erkenntnisse vor allem über visuelle Farbwirkungen im Kontext der Architektur umzusetzen. Die Arbeitsweise des Milieugestalters gelingt jedoch nur dann, wenn er bereits in einer sehr frühen Projektphase eingebunden wird. Dann kann er, ausgehend von einer mit dem Bauherrn definierten Atmosphäre und Gesamtanmutung, alle weiteren gestalterischen Maßnahmen ableiten. Dabei lautet seine wichtigste Frage: Leistet jede einzelne gestalterische Entscheidung einen substanziellen Beitrag, um die beabsichtigte Atmosphäre zu erreichen oder zu verbessern?
Besonderes Wissen und spezielle Erfahrung
Um professionell auf diese Weise vorgehen zu können, müssen Milieugestalter ein hohes Maß an Kreativität und Urteilsfähigkeit einbringen. Dies gelingt letztlich nur durch fortwährendes Aktualisieren der neuesten humanwissenschaftlichen Erkenntnisse und durch reflektierte Erfahrungen im Umgang mit Farbe in der Architektur.