Ist die Farbe der Liebe auch die Farbe der Trauer?

Die Neugestaltung eines Abschiedsraums in einem Kinderhospiz
 

Raumeroberung

Das Leitungsteam eines Kinder- und Jugendhospiz konnte an den bisherigen Hospiztagungen in Frammersbach aus terminlichen Gründen nicht teilnehmen. Daher wurde ich im letzten Jahr zu einem Beratungstag beauftragt, in dessen Verlauf die wichtigsten Erkenntnisse zur Gestaltung von Hospizräumen besprochen wurden. Eine »Raumeroberung« im so genannten »Sternenzimmer« sowie im »Großen Raum« sollte allen Beteiligten bewußt machen, wo Mängel bzw. Verbesserungspotentiale liegen.

Das »Sternenzimmer« ist der Raum, in den die verstorbenen Kinder gebracht werden. Hier können sich die Angehörigen und Freunde versammeln und Abschied nehmen. Der Raum befindet sich in einem Neubau, der vor etwa zehn Jahren von einem renommierten Architekturbüro geplant wurde. Die Größe des Raums entspricht dem der anderen Wohnräume. Der markanteste Mangel sind reinweiße Wand- und Deckenflächen. In der Raumeroberung hat die Leitung des Hospiz wahrgenommen, daß die Raumgestaltung ungeeignet ist, den seelischen Schmerz der Trauernde angemessen zu begleiten.

Welche Farbgebung wäre nun am besten geeignet – so die Frage an mich als Gestalter, die innere Situation der Trauernden aufzufangen und angemessen zu begleiten?

Farbenpsychologie

Im Vordergrund steht zunächst das schmerzvolle seelische Leid der Zurückgebliebenen. Hier kommt nur eine »weiche«, »zarte« und »sanfte« Farbigkeit in Frage, die nicht durch stimulierende Kontraste oder gesättigte Farbtöne von den intensiven inneren Prozessen ablenken. Das farbpsychologische Ziel ist, einen Gleichklang von innerer Situation und objektiver Farbwirkung zu bewirken.

Die innere Situation der Trauernden ist der schmerzliche Verlust an menschlicher Nähe mit der Unmöglichkeit, nach dem Tod des Kindes, auch körperlich in Beziehung zu bleiben. Berührungsfreundliche, haptisch angenehme Oberflächen können hierbei einen gewissen Ausgleich schaffen. Kontraproduktiv wäre ein in seinen Oberflächen abweisend wirkender Raum. Das materialtechnische Ziel ist: feine statt grobe Texturen, matte statt glänzende Oberflächen.

Letztlich drängt sich bei vielen Angehörigen auch die Frage nach dem Sinn des Lebens auf, nach dem Warum und Wieso dieses frühen Sterbens. Die Farbgebung kann diese Frage nicht beantworten, aber sie kann die Möglichkeit eröffnen, dem individuellen Empfinden Raum zu geben, das über das irdische Leben hinausweist. Das farbpsychologische Ziel ist es, die erdhafte Schwere des Seins durch eine öffnende und transzendierende Atmosphäre zu ergänzen.

Die Farbe, die diese Qualitäten am besten repräsentiert, ist Purpur. Es ist die transzendierendste Farbe, was sich schon dadurch zeigt, daß sie nicht im Licht des Regenbogens erscheint. Purpur als Lichtfarbe entsteht nur dann, wenn man gleichsam die beiden Enden des Spektrums überlagert. Farbpsychologisch ist Purpur die Farbe der Liebe, was Max Lüscher eingehend beschrieben hat. Purpur codiert das Empfinden für »einfühlende Resonanz« und »hingebungsvolle Bindung«, also im besten Fall die Beziehung der Trauernden mit dem verstorbenen Kind.

Raumgestaltung

Hinsichtlich der Raumgestalt erfordert der Prozess des Abschiednehmens einen beschützenden, sensibel (ein-)hüllenden und gleichzeitig respektvoll-würdigen Raum. Dies gelingt gut in einer höhlenartigen Atmosphäre in einer Anmutung von Geborgenheit. Bei der Neugestaltung wurden daher Decken und Wände einheitlich behandelt. Da Purpur als gesättigte Farbe auch mächtig ist, kann sie nur »verdünnt«, also aufgehellt eingesetzt werden. Das geht, da die eigentliche Farbinformation erhalten bleibt.

Da alle Wand- und Deckenflächen im Sternenzimmer mit kunstharzgebundenen Materialien behandelt waren, empfand man das Raumklima als verbesserungswürdig. Immer dann, wenn sich mehrere Personen über längere Zeit im Raum aufhielten, wurde es unbehaglich, da die Wand- und Deckenflächen die Feuchtigkeit nicht regulieren. Aus diesem Grund wurden alle Umhüllungsflächen mit »human colours«-Kalkspachtel überarbeitet. Außerdem wurde das vorhandene, als »kalt« empfundene Licht der Leuchtstofflampen durch klassisches Halogenlicht ersetzt.

Farbensymbolik

Nach Abschluss aller Planungen und Beratungen mußte die Farbgebung gleichsam in letzter Sekunde abgeändert werden. Da sich dieses Hospiz weltanschaulich und kulturell als offenes Haus versteht, entstand bei den nun in die Entscheidung eingebundenen Mitarbeitern die Sorge, daß manche Trauernde an dieser prägnanten Farbgebung Anstoß nehmen könnten. Die jetzt realisierte Farbgebung orientiert sich an den bisher genannten Kriterien, verzichtet jedoch auf das »mächtige« Purpur. Die neue Farbigkeit, ein verhüllter Ockerfarbton, ist in unserer Baukultur weit verbreitet, in diesem Sinne gewohnt und unauffällig. Das Ergebnis wird von allen Beteiligten sehr angenommen. 

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